Drei Bands, mit denen ich aufgewachsen bin – alle kenne ich seit 1992, als ich sie im zarten Alter von vierzehn Jahren für mich entdeckt hatte – gehen gemeinsam auf Tour; und das im nicht allzu weit entfernten Düsseldorf. Das letzte Mal, das ich hier in der Location war, war, glaube ich, auf der letzten Motörhead-Tour, am 17.11.2015, also fast auf den Tag genau vor neun Jahren. Es sollte nicht der einzige Nostalgie-Trip heute werden, aber dazu später mehr. Der Einlass geht verhältnismäßig flott, was gut ist bei diesen eisigen Temperaturen. Neben uns sehen wir sogar Andy Brings, wie er durch den V.I.P.-Eingang die Halle betritt. Überhaupt trifft man hier erwartungsgemäß viele bekannte Gesichter, denn der Ruhrpott ist von Düsseldorf nicht allzu weit entfernt.
Als erste Band betreten Testament die Bühne, die ich ewig nicht mehr live gesehen habe. In den letzten Jahren habe ich immer wieder gehört, dass der Sound bei ihnen schlecht gewesen sein soll. Das kann ich heute – zumindest bei den ersten beiden Songs – bestätigen. Auch auf der Bühne scheint es ähnlich zu sein, denn beim Opener „D.N.R. (Do Not Resuscitate)“ singt Chuck Billy in den Refrains etwas an der Band vorbei. Schade eigentlich, denn danach folgt direkt der coole Mitgröler „3 Days In Darkness“. Und mit zwei Songs vom bockstarken 1999er Werk „The Gathering“ zu starten, ist wahrlich nicht die schlechteste Idee. Aber der Sound wird besser. Die Setlist ist – subjektiv gesehen – eher mittelmäßig. Die Klassiker aus den glorreichen Achtzigern bleiben größtenteils auf der Strecke. Man beschränkt sich hauptsächlich auf die „neue“ Phase nach der Jahrtausendwende (die beileibe nicht schlecht ist!). Dennoch gibt es für mich heute auch ein paar Überraschungen. Denn es gibt mit der Ballade „Return To Serenity“ und mit dem Ohrwurm „Electric Crown“ gleich zwei Songs von ihrem wohl melodischsten Album „The Ritual“ von 1992 zu hören, das ich mir damals gekauft hatte, als es raus kam. Eine Ballade in der Mitte des Sets finde ich gar nicht verkehrt zum Runterfahren. Vor allem zeigt das auch, wie facettenreich der Hüne Chuck tatsächlich singen kann, der von seichtem, gefühlvollem Gesang über Aggressivität bis hin zu Death Metal-Growls praktisch alles beherrscht. Zum Schluss gibt es mit „Into The Pit“ dann doch noch einen Klassiker aus den Achtzigern.
Gemäß dem Songtitel kommt es auch in den ersten Reihen schließlich zu viel Treiben im Publikum. Die Band ist viel in Bewegung. Spielerisch ist alles im grünen Bereich. Vor allem der neue Schlagzeuger Chris Dovas, von dem ich, ehrlich gesagt, noch nie etwas gehört habe, verdrischt die Felle ordentlich und gefällt mir richtig gut. Nach knapp einer Stunde ist erstmal Schluss. So kann man in einen gelungenen Abend starten!
Setlist: D.N. R. (Do Not Resuscitate), 3 Days In Darkness, WWIII, Children Of The Next Level, The Formation Of Damnation, Return To Serenity, First Strike Is Deadly, Low, Native Blood, Electric Crown, More Than Meets The Eye, Into The Pit
Die Wartezeit ist nicht allzu lang, als dann für Anthrax das Licht ausgeht. Das Intro – ein Kurzfilm mit Prominenten, die Lobpreisungen über Anthrax verlauten lassen, unter anderem Henri Rollins, Gene Simmons und Stephen King – ist vielleicht etwas zu lang ausgefallen, auch wenn er unterhaltsam ist. Dann ertönt das Intro von „Potters Field“, bevor endlich der Vorhang fällt. Ich hatte Anthrax zuletzt 2019 auf dem Rock Hard Festival gesehen, wo ich sie auch richtig gut fand. Aber egal, wie durchwachsen ihre Alben waren oder wer da gerade gesungen hat, jedes Mal haben sie immer geliefert! Und auch heute reißen sie alles ab! Die Band hat richtig Bock, bangt wie Sau und ist viel in Bewegung. Vor allem bin ich von Basser Frank Bello begeistert, der permament rumrennt und abgeht, als gäbe es kein Morgen. Dasselbe gilt auch für den „neuen“ Gitarristen Jonathan Donais, der 2013 den zu Volbeat abgewanderten Rob Caggiano ersetzte, und immer noch im Schatten der anderen Bandmitglieder zu stehen scheint. Schade eigentlich, denn auch er hängt sich richtig rein und schüttelt die Mähne fleißig. Der flotte Opener „A.I.R.“ ist gut gewählt. Der Sound ist besser als bei Testament. Aber dennoch scheint es auf der Bühne erneut Probleme zu geben, denn wie schon zuvor bei Testament, singt auch Joey Belladonna in den Refrains etwas an der Band vorbei. Ansonsten ist hier aber alles top! Vor allem haben Anthrax heute Abend als einzige Band die Setlist mit dem großen Old School-Anteil!
Von „Fistful Of Metal“ bis „Persistence Of Time“ (eigentlich sogar bis „Sound Of White Noise“, wenn man das angespielte „Potters Field“-Intro mitzählt), werden restlos alle alten Alben bis 1993 abgedeckt. Der einzige „neue“ Song ist „Fight ´Em ´Til You Can´t“ vom „Worship Music“-Album von 2011. Das ist doch mal eine Ansage! Anthrax versprühen eine Spielfreude, die sich auch auf das Publikum auswirkt. Die Meute geht jedenfalls richtig mit, vor allem im „Wardance“-Mittelpart von „Indians“, nachdem Gitarrist Scott Ian sagt, dass es Charlie Benante besonders wichtig ist, dass bei dem Song Bewegung im Spiel ist. Joey Belladonna beherrscht auch die höchsten Töne immer noch. Und der bereits erwähnte Charlie Benante, einer meiner absoluten Lieblings-Schlagzeuger, arbeitet wie ein Tier. Überrascht bin ich über „Medusa“ vom 1985er Album „Spreading The Disease“. Keine Ahnung, ob ich das überhaupt schon einmal live gehört habe. Ich bin anscheinend nicht als Einziger der Meinung, dass Anthrax heute voll abräumen. Auch nach dem Konzert sagen mir viele, mit denen ich geredet habe, dass sie Anthrax noch nie so gut gesehen haben und dass sie am heutigen Abend die beste Band sind. Dem ist nichts hinzuzufügen! Ich habe den leisen Verdacht, dass ausgerechnet Kreator heute als „Verlierer vom Platz gehen“ würden, denn die Steilvorlage der beiden bisherigen Bands ist verdammt hoch!
Setlist: Intro (Potters Field), A.I.R., Got The Time, CaughtIn A Mosh, Fight ´Em ´Til You Can´t, Madhouse, Be All End All, Metal Thrashing Mad, I Am The Law, Medusa, Antisocial, Indians, Gung-Ho
Nach dem Konzertabbruch beim The Big Teutonic 4 am 20.Juli in Gelsenkrichen fragen sich heute einige, ob Kreator das extra dafür geplante Old School Set nachholen würden. Zwei Dinge gleich vorweg: Nein, es gibt heute kein Old School Set, und nein, sie gehen heute auch nicht, wie zunächst von mir befürchtet, als „Verlierer vom Platz“! Die Setlist ist, wie erwartet, leider der Standard der letzten zwei Jahre. Aber dennoch sind die Ruhrpottler gut aufgelegt. Bevor die Band die Bühne betritt, läuft „Run To The Hills“ über die Anlage. Den Anfang machen dann „Hate Über Alles“ und das flotte „Phobia“ vom bei den Fans eher unbeliebten 1997er Langeisen „Outcast“. Im Hintergrund sind Flammenhalter aufgestellt, die die gesamte Show über brennen und ein apokalyptisches Bühnenbild präsentieren. Überhaupt bekommt man heute viel Feuer zu sehen. Es werden reihenweise Pyros hochgejagt, häufig synchron zu den gesungenen Textzeilen. Konfettiregen gibt es ebenfalls mehrfach. Mir tut jetzt schon der von Höhenangst geplagte Azubi leid, der am Montag alles wieder von der Decke pflücken muss, haha! Zwei Henker mit schwarzen Kapuzen entern zweimal mit Fackeln die Bühne und legen die beiden zur Bühnendekoration gehörenden Scheiterhaufen in Brand. Zwischen beiden brennenden „Leichen“ steht Mille Petrozza mittig wie vor dem Höllentor. Dreimal fordert der Frontmann das Publikum zur Wall Of Death auf; einmal vor dem (leider wieder nur kurz angespielten) „Coma Of Souls“; einmal vor „Betrayer“ in der Mitte des Sets und einmal vor „Pleasure To Kill“, am Schluss, der mal wieder mit der typischen Fremdscham-Ansage „Düsseldorf, seid Ihr bereit, Euch gegenseitig umzubringen?“ angesagt wird und der letzte Song am heutigen Abend ist. Insgesamt gibt es heute nur drei Songs aus den Achtzigern und einen aus den Neunzigern (na ja, anderthalb, wenn man so will…).
Was mich (und viele andere hier auch) tierisch nervt, ist dass Mille bei den Schreien in den Ansagen übertrieben viel Hall benutzt, sodass es schon fast penetrant in den Ohren wehtut. Aber ansonsten hobeln Kreator heute alles sehr souverän runter und geben ein hochprofessionelles Bild ab. Die Band ist eingespielt. Der Finne Sami Yli-Sirniö, der seit 2001 dabei ist, brilliert mit seinen Gitarrensoli, bei denen die drei Musiker (Ventor hinter´m Schlagzeug natürlich ausgenommen!) auf erhöhte Podeste steigen, um besser gesehen werden zu können. Auch der neue, aus Frankreich stammende Ex-DragonForce-Bassist Frédéric Leclercq gefällt mir mit seinem Stage Acting richtig gut. Er bangt und läuft viel und macht gar nicht mehr den Eindruck eines Neulings. Und auch Ventor zimmert gut hinter seiner Schießbude. Klar kann man als alter Fan der Band immer meckern, dass mit „666 – World Divided“ ein Lückenfüller gespielt wird, auf den man getrost hätte verzichten können, dass Milles Ansagen oft etwas seltsam sind, dass nur drei Songs aus den Achtzigern gespielt werden, und die auch noch deutlich schleppender als früher, dass „Coma Of Souls“ (immerhin der Titeltrack meines Lieblingsalbums der Band) wieder einmal nicht durchgespielt wird. Aber dennoch überwiegt das Positive. Schön ist auch, dass „Strongest Of The Strong“ nicht nur den Fans, sondern auch den beiden vorherigen Bands gewidmet wird. Und eine schöne Anekdote noch zum Schluss: Ich hatte im Vorwort erwähnt, dass es einen weiteren Nostalgie-Trip heute Abend gibt. Mille erzählt, dass das allererste Konzert, auf dem er jemals war, 1980 in dieser Halle stattgefunden hatte, die damals noch Philipshalle hieß: Kiss und im Vorprogramm Iron Maiden. „Ich kam als Kiss-Fan und ging als Iron Maiden-Fan, haha!“, teilt er dem Publikum fröhlich mit. Nach knapp anderthalb Stunden ist gegen 23 Uhr endgültig Schluss.
Setlist: Intro (Sergio Corbucci Is Dead), Hate Über Alles, Phobia, Coma Of Souls, Enemy Of God, 666 – World Divided, Hordes Of Chaos (A Necrologue For The Elite), Hail To The Hordes, Betrayer, Satan Is Real, Intro (Mars Mantra), Phantom Antichrist, Strongest Of The Strong, Terrible Certainty, Intro (The Patriarch), Violent Revolution, Pleasure To Kill, Outro (Apocalypticon)
Ein toller Abend mit praktisch drei gleichberechtigten und gleichwertigen Bands geht zu Ende. Als Andenken hätte ich gerne ein Shirt des Events mit allen drei Bands und allen Tourdaten mitgenommen. Aber 45 € sind dann doch etwas zu viel des Guten (7 € für ein Bier übrigens auch)… Schade, aber das Konzert an sich wird uns allen sicherlich in guter Erinnerung bleiben!
Autor: Daniel Müller – Pics: Carola Kempe