35 Jahre Rotting Christ und 30 Jahre Borknagar! Beide Bands kenne und höre ich seit Mitte der Neunziger, und ich war gespannt, ob sie von daher heute tief im Archiv wühlen würden, um diesen Anlass gebührend zu feiern, denn beide Bands können mittlerweile auf zahlreiche Alben (und einige Stilwechsel) verweisen, die ihnen in all den Jahren untergekommen sind. Beide Bands habe ich schon häufiger gesehen. Es ist also heute eigentlich eher ein Konzert für die Strichliste. Dennoch habe ich sehr viel Vorfreude auf den heutigen Abend. Dabei lief zunächst gar nicht alles glatt. Die Bestätigung für die Gästeliste kam erst recht spät. Sakis von Rotting Christ schrieb mich per E-Mail an und meinte, ich soll mich bei ihm per WhatsApp melden, wenn es nicht klappen sollte. Doch letztendlich lief alles glatt, und es wurde ein toller Abend!
Als wir die Halle betreten, spielen Seth bereits. Ich hatte die Franzosen schon einmal vor ein paar Jahren gesehen, kenne ein paar ihrer Alben aber nur flüchtig. Im Mittelpunkt steht natürlich Frontmann Saint Vincent, der mit einer roten Robe und einer schwarzen Kapuze bekleidet ist. Seine auf Englisch gehaltenen Ansagen sind gut verständlich. „Wir waren Ende der Neunziger eine der wenigen Black Metal-Bands in Frankreich“, erklärt er, bevor man mit „Hymne Au Vampire, Acte I“ einen alten Song vom Debüt anstimmt. Ich bin etwas überrascht, einen Keyboader zu sehen (der sogar Gründungsmitglied ist!), denn er ist praktisch nur dann zu hören, wenn er alleine spielt. Dafür bangt er aber genauso fleißig wie seine anderen Kollegen. Positiv erwähnen muss ich auch das zweite noch verbliebene Ur-Mitglied, Schlagzeuger Alsvid, der trotz des eingängigen Geknüppels der Band einige frickelige Sachen spielt, ohne dabei holprig zu werden. „Vor ein paar Jahren brannte bei uns die Kathedrale von Notre Dame“, erzählt der Frontmann noch, als er den Titelsong des 2021 erschienenen, vorletzten Albums, „La Morsure Du Christ“ ansagt. Beim letzten Song, „La Destruction Des Reliques“ vom neuen Album „La France De Maudits“, hat er sogar das Publikum auf der Seite, das ein bisschen mitmacht. Als Opener hat man es ja oft schwer, aber Seth legen, gut drauf und super aufeinander eingespielt, eine saubere halbe Stunde hin, die Bock auf mehr macht.
Setlist: Et Que Vive Le Diable !, Métal Noir, Insurrection, Hymne Au Vampire Acte I, La Morsure Du Christ, La Destruction Des Reliques
Die Norweger Borknagar feiern 30-jähriges Jubiläum. Schon krass, wie lange so manche Band schon unterwegs ist, und vor allem auch, wie lange man sie schon kennt, denn die ersten drei Alben hatte ich mir als Jugendlicher gekauft, als sie rauskamen. Danach habe ich sie völlig aus den Augen verloren, bis ich sie vor zwei Jahren auf dem Ultima Ratio Fest in Oberhausen gesehen habe. Ja, die Musik hat sich ganz schön gewandelt und ist im Laufe der Jahre viel melodischer, epischer und auch ein bisschen progressiver geworden. Vor zwei Jahren fand ich sie gut, aber was hier heute abgeht, ist kaum in Worte zu fassen. Das, was Borknagar machen, ist richtig professionell! Schon der mehrstimmig gesungene Opener „Nordic Anthem“, der klingt wie Filmmusik aus einer Wikinger-Serie bei Netlix, sorgt für gute Stimmung. Allerdings wirkt er eher wie ein sehr langgezogenes Intro. Danach bin ich vor allem von der Vielfalt der Band begeistert, denn von hymnischen Männerchören über ruhige, schon fast psychedelische Passagen bis hin zu frostiger Raserei ist hier wirklich alles vertreten, was die Band ausmacht. Und vor allem bin ich überrascht, dass gleich drei der fünf Mitglieder richtig gut singen können! Im Mittelpunkt steht aber Keyboarder Lars A. Nedland, der auch die höchsten Töne beherrscht, ohne dass dabei ein schiefer Ton herauskommt. Und auch sonst geht er richtig gut ab. Headbangen, Schlagzeugtakte auf dem Bein mitklopfen, theatralisches Rudern mit den Armen, energisch spielen und sauber singen: Er ist ein wahres Energiebündel. Höhepunkt der Show ist die Ballade „Voices“ in der Mitte des Sets, bei dem wieder der Klargesang des Tastenmannes im Vordergrund steht. „Wir lieben Dich, Lars! Du singst perfekt!“, attestiert auch Bassist und Sänger ICS Vortex, der sich den Großteil des Gesangs mit ihm teilt, dem Kollegen zu seiner Linken. In der Setlist wird das Hauptaugenmerk auf die neueren Alben gelegt. Vom 1996 erschienenen, selbstbetitelten Debüt spielen sie nur „Drauden“, das viel schneller und frostiger daherkommt als der ganze Rest. Vom zweiten und dritten Album (meinen Favoriten) spielen sie leider gar nichts… Herr Vortex will, dass das Publikum noch einmal kräftig mitsingt, und so findet man mit „Winter Thrice“ einen hymnischen Abschluss. Sehr guter und beeindruckender Auftritt! Eigentlich der heimliche Headliner heute Abend!
Setlist: Nordic Anthem, The Fire That Burns, The Rhymes Of The Mountain, Up North, Voices, Colossus, Moon, Summits, Dauden, Winter Thrice
Und das hat auch seine Gründe. Denn es ist bekannt, dass Rotting Christ die Orchestrierungen und die meisten Chöre nur vom Band mitlaufen lassen. Dass, was Borknagar mit drei Stimmen selber machen, kommt bei den Griechen leider aus der Retorte. Das ist schon seit Jahren so und durchaus bekannt. Was mich aber immer wieder umhaut, ist die Tatsache, dass es nie steril und langweilig wird, sondern dass Rotting Christ einfach immer Arsch treten. „Hallo Deutschland! Wir sind Rotting Christ aus Griechenland und spielen fucking Metal!“, begrüßt uns Sänger und Gitarrist Sakis Tolis in verblüffend gutem Deutsch. „Aealo“ macht den Anfang nach einem mystischen Intro. Die Frauenchöre kommen vom Band. Da geht es schon los. Aber Rotting Christ machen mit ihrer Spielfreude alles wett. Kaum ist der erste Ton gespielt, bangen alle Mitglieder wie vom Teufel besessen drauflos. Hier ist richtig viel Energie und Bewegung drin. Und das bleibt auch bis zum Schluss so. Die Band ist gut drauf und hat sichtlich Freude am Spielen. Sie spielen sich in einen Rausch. Das Publikum in der gut gefüllten Matrix geht ebenfalls gut mit. Im Laufe der Zeit wird die Band immer lauter, sodass die Samples kaum noch ins Gewicht fallen. Ungefähr in der Mitte des Sets wird dann endlich mal in der Klassiker-Kiste gegraben: Der Block mit „The Sign Of Evil Existence“ vom 1993er Debüt „Thy Mighty Contract“, „Non Serviam“, der Titelsong des zweiten Albums von 1994 und „Societas Satanas“ von zweiten Thou Art Lord-Album „Apollyon“ von 1996, bleibt leider alles aus den Neunzigern. Vom neuen Album „Pro Xristou (Προ Χριστού)“ spielen sie lediglich „Like Father, Like Son“. Alle anderen Songs sind erst ab 2010 veröffentlicht worden. Das ist für eine 35-Jahre-Tour natürlich sehr schade, vor allem weil mein Lieblingsalbum der Band, „Non Serviam“, genau am 10.10.1994 veröffentlicht wurde und heute sogar 30-jähriges Jubiläum hat, was Sakis zwar morgens noch bei Facebook gepostet, aber heute Abend leider nicht mit einem Wort erwähnt hat. Zu dem Anlass hätte man ruhig noch zwei-drei weitere Songs davon wieder ausgraben können. Aber egal! Bei „Societas Satanas“ bildet sich erstmals ein wilder Circle Pit. Keine Ahnung, warum dieser Song seit Jahren in der Setlist ist, stammt er doch eigentlich von Thou Art Lord, einem Nebenprojekt von Sakis. Aber mit seiner thrashigen Rotzigkeit funktionert er live einwandfrei! Nach knapp einer Stunde ist das reguläre Set beendet. Man kommt aber für das groovige „Noctis Era“ von 2010 noch einmal raus auf die Bühne. Dieser wird ohne Samples gespielt, klingt im Mittelteil daher ein bisschen „leer“ und ist somit nicht wirklich ein gelungener Raushauer. Dennoch wird die Band nach knapp siebzig Minuten gebührend gefeiert.
Setlist: Aealo, Vetry Zlye, Δαίμονων βρωσης (Demonon Vrosis), Κατά τον δαίμονα εαυτού (Kata Ton Daimona Eaytoy), Like Father Like Son, …Pir Threontai, Ἐλθὲ κύριε (Elthe Kyrie), The Sign Of Evil Existence, Non Serviam, Societas Satanas (Thou Art Lord-Cover); In Yumen-Xibalba, Grandis Spiritus Diavolos, Noctis Era
Abschließend muss ich noch sagen, dass ich begeistert bin, wie gut der Sound mittlerweile unten in der Matrix ist, denn den hatte ich jahrelang bemängelt, sodass diese Location nicht gerade meine favorisierte Halle ist. Wenn es aber so gut bleibt wie jetzt, wo die ganzen Dämmplatten an den Wänden und an der Decke hängen, kann man hier auch wieder regelmäßig hingehen, ohne sich zu ärgern!
Autor: Daniel Müller – Pics: Daniel Müller